Inklusive Arbeitsplätze für alle: eine neue Perspektive

09 Mai 2025

Barrieren am Arbeitsplatz gibt es viele. Das Südtiroler Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit und assistierende Hilfsmitteltechnologien independent L. mit Sitz in Meran beschreibt in diesem Artikel die größten Herausforderungen und entsprechende Lösungsansätze.

Es besteht ein großer Unterschied zwischen der reinen Beseitigung architektonischer Barrieren und einer wirklich inklusiven barrierefreien Arbeitsplatzgestaltung für alle.

Wenn wir beispielsweise Maßnahmen zur Beseitigung von architektonischen Barrieren ergreifen, tun wir das häufig mit einem reduzierten Ansatz, der nur das Binom Barriere/Behinderung betrachtet, wodurch wir dazu tendieren, Speziallösungen für eine oder mehrere Nutzerkategorien zu suchen.

Diese Vorgehensweise geht von einem standardisierten Prototypen des Menschen aus und schenkt den vielfältigen Bedürfnissen der echten Menschen, ihren körperlichen Fähigkeiten (motorisch, sensorisch, kognitiv), ihrem Alter und ihren Vorlieben zu wenig Aufmerksamkeit.

Dem entgegengesetzt steht der Ansatz einer inklusiven barrierefreien Planung für alle: Design for all (Universal Design – Inclusive Design). Er bedeutet, dass Umgebungen, Produkte und Systeme so gestaltet werden, dass sie für so viele Menschen wie möglich, ohne weitere Anpassungen oder Spezialisierungen nutzbar sind. Als international etabliertes Design-Konzept berücksichtigt es von Anfang an auch die soziale, kulturelle und individuelle Vielfalt der Menschen und trägt dadurch ihren unterschiedlichsten Bedürfnisse Rechnung.

Das Ziel, die Bedürfnisse aller Nutzer*innen (Mitarbeitende und Kunden) zufrieden zu stellen, mag utopisch erscheinen, aber eine solche Orientierung hilft uns dabei, über die reine Beseitigung von architektonischen Barrieren hinaus weiter zu denken und über verschiedene (nicht unbedingt teurere) Lösungen nachzudenken. Eine inklusive Arbeitsplatzgestaltung für alle fördert nämlich die Einbeziehung, die Beziehungen und die Kommunikation zwischen den Menschen im Betrieb.

Auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2006) unterstreicht eine umfassende und inklusive Auslegung von Fragen der Barrierefreiheit:

Die Konvention basiert auf einem neuen Ansatz in Bezug auf Behinderung, der die Grundsätze des bio-psycho-sozialen Modells umfasst, das von der Weltgesundheitsorganisation mit der ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) als Grundannahme eingeführt wurde:

Behinderung wird nicht mehr als eine individuelle Eigenschaft der Person verstanden, sondern als das Ergebnis ihrer Interaktion mit der Umwelt, in der sie lebt und die Barrieren für sie darstellen kann. Folglich wird die Gesellschaft aufgefordert, nicht nur auf die Bedingungen der Menschen einzuwirken, sondern auch auf ihre Umgebung, um sicherzustellen, dass sie ihre Fähigkeiten voll zum Ausdruck bringen und die größtmögliche Autonomie bei den Aktivitäten des täglichen Lebens erreichen können.

Wie ist die Situation bei uns in Südtirol?

Die "Südtiroler Landesverordnung über die Beseitigung und Überwindung architektonischer Barrieren“ (DLH vom 9. November 2009, Nr. 54) und das Landesgesetz Nr. 7 vom 14. Juli 2015 zur "Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen" überwinden die veraltete und kategorisierende Beziehung zwischen Barriere und Behinderung, indem sie keinem bestimmten Nutzertyp folgen, sondern ihre Aufmerksamkeit auf die breiteren und sozial bedingten Horizonte einer gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen (Einheimische und Touristen) richten.

Funktional für diese Vision ist auch die einbezogene Verwaltungsebene der Gemeinden, der eine große Verantwortung beim Abbau architektonischer Barrieren beigemessen wird. Diese niederschwellige lokale Ebene hat nämlich die beste Kenntnis der Barrieren und Bedürfnisse vor Ort, begutachtet alle laufenden öffentlichen und privaten Bauprojekte und stellt für Interventionsmaßnahmen in der Gemeinde die notwendigen Geldmittel bereit.

Zur Gewährleistung der sozialen Teilhabe aller Menschen (insbesondere auch Kinder, Senioren, Menschen mit Beeinträchtigungen, Familien mit Kinderwagen usw.) am gesellschaftlichen Leben (Wohnen, Schule, Arbeit, Freizeit) gilt die Landesverordnung 54/2009 für den Neubau, die Umgestaltung von funktionellen Einheiten sowie für die Erweiterung und Änderung der Zweckbestimmung von Gebäuden, Einrichtungen und Flächen, die öffentlich zugänglich sind. Im privaten Wohnbau gilt hingegen der Grundsatz der Adaptierbarkeit, d.h. dass eine Wohnung bestimmte Mindesteigenschaften haben muss, wodurch sie bei Bedarf relativ einfach barrierefrei adaptiert werden kann.

In Bezug auf die Arbeitswelt fördert das Staatsgesetz Nr. 68/1999, bekannt als „Rahmengesetz für das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen“, die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen. Um die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten und Diskriminierung zu vermeiden, setzen die gesamtstaatlichen Bestimmungen dabei besonders auf eine bessere Zugänglichkeit und ein inklusives Arbeitsumfeld, durch:

  • Gezielte Vermittlung von Menschen mit Behinderungen und eine angestrebte Erleichterung der Beschäftigung durch eine Bewertung der Fähigkeiten und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen sowie der von Unternehmen angebotenen Möglichkeiten.

  • Pflichteinstellungen: Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten sind verpflichtet, eine Mindestzahl von Mitarbeitenden mit Behinderungen zu beschäftigen, die sich nach der Größe des Unternehmens richtet. Gemäß den Durchführungsdekreten des Jobs ACT können private Arbeitgeber diesbezüglich auch namentliche Aufnahmen tätigen. Ein Betrieb kann sich somit direkt an eine Person mit Invalidität oder Behinderung, die er anstellen möchte, wenden. Was die Anstellungsmodalitäten betrifft, darf die Person mit Behinderung oder Invalidität allerdings nur über die Arbeitslisten für die Pflichtvermittlung und nicht direkt angestellt werden.

  • Einstellungsanreize: Das Gesetz sieht verschiedene Arten von Vergünstigungen und Beitragsentlastungen für Unternehmen vor, die Menschen mit Behinderungen einstellen.

  • Ausbildung und Unterstützung: Das Gesetz fördert gezielt auch Berufsausbildungsinitiativen für Menschen mit Behinderungen, damit sie die notwendigen Fähigkeiten für den Eintritt in den Arbeitsmarkt erwerben können.

Neben Zugangsbarrieren zur Arbeitswelt, welchen das Gesetz 68 entgegenwirkt, gibt es am Arbeitsplatz und in den Betrieben selbst andere beeinträchtigende Barrieren für Mitarbeitende und Kunden mit Behinderungen.

Barrieren am Arbeitsplatz: Herausforderungen und Lösungsansätze

Barrieren am Arbeitsplatz können in vielen Formen auftreten und stellen oft erhebliche Herausforderungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber dar. Diese Barrieren können physischer, sozialer oder organisatorischer Natur sein und beeinflussen die Arbeitszufriedenheit, Produktivität und das allgemeine Wohlbefinden der Beschäftigten.

Physische Barrieren

Physische Barrieren betreffen die Zugänglichkeit und die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes. Mitarbeitende mit körperlichen Beeinträchtigungen, wie etwa Mobilitätseinschränkungen, stoßen häufig auf Hindernisse, die ihre Fähigkeit zur Ausführung ihrer Arbeit beeinträchtigen. Dazu zählen unzureichend angepasste Arbeitsplätze, fehlende Barrierefreiheit in Gebäuden und mangelnde Hilfsmittel. Solche Barrieren führen nicht nur zu körperlichen Belastungen, sondern können auch das Selbstwertgefühl der betroffenen Personen negativ beeinflussen. Genauso wichtig ist die physische Barrierefreiheit aber natürlich auch für Kunden und Kundinnen mit besonderen Bedürfnissen.

Um physische Barrieren zu überwinden, ist eine umfassende Analyse des Arbeitsplatzes notwendig. Barrierefreiheit sollte bei der Gestaltung neuer Gebäude von Anfang an berücksichtigt werden. Arbeitgeber können auch in ergonomische Arbeitsplatzausstattungen investieren und die Bereitstellung individueller Hilfsmittel sicherstellen.

Zu den häufigsten architektonischen Barrieren am Arbeitsplatz zählen:

1. Eingänge und Ausgänge:

  • Treppen ohne barrierefreie Rampen für Personen mit Rollstuhl, Rollator, Kinderwagen, Lieferanten;

  • Zu schmale Türen oder schwere Türen ohne automatische Türöffnung;

2. Innenräume:

  • Flure, die den Durchgang von Rollstühlen nicht zulassen;

  • Möbel, die so angeordnet sind, dass sie den Durchgang behindern;

  • Bürogeräte (wie z.B. Drucker) oder Maschinen (Werkstattgeräte), die aufgrund ihrer Positionierung nicht bodengleich erreichbar, anfahrbar oder benutzbar sind;

3. Toiletten:

  • Nicht zugängliche Toiletten oder WCs, die nicht behindertengerecht ausgestattet sind;

4. Aufzüge:

  • Fehlende Aufzüge in mehrstöckigen Gebäuden;

  • Bedienfelder, die für Menschen mit Behinderungen nicht geeignet oder schwer zu bedienen sind;

5. Arbeitsplätze:

  • Ungeeignete Schreibtische, die sich nur schwer an unterschiedliche Bedürfnisse anpassen lassen;

  • Arbeitsplätze mit technologischen Barrieren;

Lösungen zur Beseitigung von Hindernissen

1. Barrierefreie Planung für alle nach dem Prinzip des Design for all:

  • Planen Sie bei Renovierungsoder Bauprojekten barrierefreie Rampen und Aufzüge mit ein;

  • Stellen Sie sicher, dass die Türen breit genug sind, damit Rollstühle, Rollatoren oder Kinderwagen hindurchfahren können;

2. Schulung und Sensibilisierung:

  • Schulen Sie Ihre Mitarbeitenden im Hinblick auf eine bessere Bewusstseinsbildung für Behinderungen und die Notwendigkeit, die Arbeitsplätze frei von Hindernissen zu halten.

3. Anpassungsfähige Möbel und Geräte:

  • Stellen Sie in Ihrem Betrieb adaptierbare Arbeitsplätze und ergonomische Geräte zur Verfügung, um unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden.

4. Beschilderung und Kommunikation

  • Verwenden Sie eine klare und verständliche Beschilderung, die zum Auskunftsschalter, zu Notausgängen und zu den barrierefreien Toiletten führt.

Technologische Barrieren am Arbeitsplatz

Viele Arbeiten werden heutzutage mit Hilfe verschiedener technischer Hilfsmittel ausgeführt. Das erste Hindernis, auf das man dabei stoßen kann, ist die Frage, wie man diese Hilfsmittel je nach Fähigkeit der betreffenden Person nutzen kann. Bei motorischen Beeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen kommt uns die Technik zu Hilfe: Auf dem Markt gibt es die unterschiedlichsten Modelle von Computermäusen und Tastaturen, bei motorischen Beeinträchtigungen gibt es Maus-Emulatoren und bei schweren motorischen Beeinträchtigungen gibt es sogar PC-Steuerungen durch den Einsatz der Augen. In Zukunft wird ferner die Künstliche Intelligenz in diesem Bereich viele neue Möglichkeiten eröffnen.

Für Menschen mit Hörbehinderungen gibt es Software, die das Gesagte in Echtzeit transkribiert. Dies ist beispielweise nützlich, um eine Sitzung zu verfolgen, bei der es kein Mikrofon für Hörgeräte (T-Induktionsschleife) gibt. Auch zum Telefonieren gibt es Anwendungen, welche die Nachricht des Sprechers transkribiert und die schwerhörige Person schriftlich antworten kann.

Auch für Mitarbeitende und Kunden mit Sehbehinderungen gibt es Hilfsmittel: wir alle kennen Videolupen, mit denen ein bedrucktes Blatt Papier gelesen werden kann, nicht jeder weiß aber, dass diese auch eine Vorlesefunktion haben können und der Betroffene sich so den Inhalt des Dokuments vorlesen lassen kann. Darüber hinaus kann er es in den PC einlesen, digitalisieren und bearbeiten.

Und auch die Computer verfügen standardmäßig über personalisierbare Einstellungen für die Barrierefreiheit, wie z.B. die Erhöhung des Farbkontrasts, die Vergrößerung der Symbole, die Verlangsamung der Cursor-Bewegungszeiten und vieles mehr. Wenn dies nicht ausreicht, gibt es spezielle Software, die vorliest, was gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Sobald die Zugangshürde zum Computer überwunden ist, gibt es nicht zuletzt digitale Barrieren, welche die Zugänglichkeit zu den digitalen Informationen behindern.

Digitale Barrierefreiheit

Ähnlich wie in der gebauten Umwelt, wo es darum geht, architektonische Barrieren (wie beispielsweise eine Stufe) zu vermeiden, gilt es bei der Programmierung einer Internetseite, keine digitalen Hindernisse einzubauen. Italien ist in diesem Gebiet eigentlich ein wichtiger Vorreiter („Stanca Gesetz“ 2004) Die gesetzlichen Vorgaben basieren mittlerweile auch auf EU-Richtlinien (2016/2102) und verpflichten hauptsächlich die öffentliche Verwaltung, ihre Internetseiten digital barrierefrei zu machen, aber auch alle anderen Körperschaften und privaten Dienstleister, die mit öffentlichen Mitteln co-finanziert werden oder hohe Umsätze erzielen.

Denn gerade ihre Online-Dienste müssen natürlich für alle Menschen benutzbar sein, auch für Personen, die aufgrund von Behinderungen spezielle Hilfsmittel oder Konfigurationen benötigen und das betrifft sehr viele Menschen.

Die geltenden Standards für die digitale Barrierefreiheit beruhen auf internationalen Leitlinien, den sog. Web Content Accessibility Guidelines 2.2. (Oktober 2023) und lassen sich in 4 Hauptaspekte zusammenfassen:

1. Wahrnehmbarkeit

Ihre Internetseite sollte eine ganz klare Struktur und eine übersichtliche Menüführung haben, die verwendete Schriftart sollte gut lesbar sein, Schriftgröße muss auf Wunsch vergrößert werden können, wesentlich sind außerdem ausreichende Kontraste und ganz wichtig, die Inhalte müssen von einem Bildschirmlesegerät (Screenreader) vorgelesen werden können;

In Bezug auf eingefügte Inhalte, wie Fotos, Videos oder Audiodateien müssen Alternativen zu Verfügung gestellt werden. z.B. in Form von Untertiteln oder Videos in Gebärdensprache;

Videos oder Audiodateien sollten dabei nie alleine starten, sondern der Benutzer muss aktiv die Play Taste drücken, um sie zu starten, zu pausieren oder anzuhalten;

2. Bedienbarkeit

Ihre Internetseite sollte sich zum Beispiel nicht nur mit der Maus, sondern auch mit der Computertastatur navigieren lassen;

3. Verständlichkeit

Die Inhalte Ihrer Internetseite sollten einfach und verständlich sein, diesbezüglich gibt es auch eine zertifizierte Leichte Sprache – für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen, welche die Sprache nicht gut verstehen;

4. Robustheit

Ihre Internetseiten sollten auf allen Browsern und auf allen Endgeräten gut funktionieren. Unter diesen Punkt fallen aber zum Beispiel auch PDF-Dokumente: Zum Erstellen reicht es nicht aus, ein Dokument einfach im Kopiergerät zu scannen, denn das Ergebnis ist in diesem Fall ein Foto ohne Hintergrundinformationen – vielmehr muss beispielweise ein Word Dokument digital zu einem barrierefreien PDF-Dokument formatiert werden;

Sicherheit und Brandschutz am Arbeitsplatz

In allen Stockwerken, die nur über Treppen erreichbar sind (ein normaler Aufzug darf im Brandfall nicht benützt werden), ist ein entsprechender sicherer Schutzraum auszuweisen, der Mitarbeitenden und Kunden mit Beeinträchtigungen im Brandfall vorübergehend Schutz bietet, bis sie von den Einsatzkräften in Sicherheit gebracht werden. Es ist die Aufgabe eines Brandschutzexperten adäquate Schutzbereiche für den Notfall vorzusehen. Manchmal ist es möglich, einen solchen geschützten Bereich im Treppenhaus einzurichten, in anderen Fällen muss ein eigener Raum dafür geschaffen werden. Im Notfall müssen jedenfalls alle Personen, die sich in einer Etage aufhalten dürfen, darin untergebracht werden können.

Fazit

Barrieren am Arbeitsplatz sind vielfältig und erfordern differenzierte Lösungsansätze. Durch das Bewusstsein für diese Barrieren und die aktive Umsetzung von Maßnahmen zu deren Abbau können Unternehmen nicht nur die Zufriedenheit und Produktivität ihrer Mitarbeiter steigern, sondern auch zu einer inklusiveren und gerechten Arbeitswelt beitragen.